Am 10. April haben die Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2014 vorgelegt (den Text des Gutachtens und weitere Informationen finden Sie beispielsweise bei CESifo zusammengestellt).

In diesem Gutachten nimmt das Thema Mindestlohn einen breiten Raum ein. In der Presse und von den politischen Akteuren wurden die Ergebnisse bisher aus unserer Sicht allerdings häufig verkürzt dargestellt.

Grafk zum Mindestlohn

Im Folgenden finden Sie dazu eine Auswahl von Fundstellen aus dem Gutachten (Hervorhebungen nicht im Original):

„Die Institute schätzen, dass im Jahr 2015 unter Berücksichtigung von Ausnahmen und Übergangsregelungen etwa vier Millionen Arbeitnehmer von der Regelung betroffen sein werden und im Jahr 2015 zunächst rund 200.000 Stellen verloren gehen. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen dürfte dadurch um 0,3 Prozent sinken. Der Verlust beim Bruttoinlandsprodukt wird allerdings wohl nur 0,1 Prozent betragen, weil vor allem Arbeitsplätze mit vergleichsweise niedriger Produktivität wegfallen. […]

Der flächendeckende Mindestlohn wird die Beschäftigungschancen Geringqualifizierter insgesamt eher schmälern und – da Transfers reduziert werden – kaum zur Reduktion von Armut beitragen.“ (Seite 10)

Die Tabelle 3.3 auf Seite 35 des Gutachtens zeigt relativ deutlich, dass die Institute davon ausgehen, dass vor allem Geringfügig beschäftigte betroffen sein werden. Aber:

„Im kommenden Jahr [2015] dürfte die Zahl der Arbeitslosen aufgrund der Einführung des Mindestlohns zunächst zwar steigen. Im weiteren Jahresverlauf gewinnen aber die konjunkturellen Kräfte die Oberhand.  Im Jahresdurchschnitt dürfte die Arbeitslosigkeit um 18.000 Personen zunehmen.“ (Seite 51)

Die wirtschaftspolitische Bewertung der Einführung eines Mindestlohns ist allerdings nicht einheitlich. Im Mehrheitstext heißt es im Kapitel „Aktuelle Ziele der Wirtschaftspolitik“:

„Mit dem flächendeckenden Mindestlohn wird die Flexibilität des Arbeitsmarktes wieder ein Stück weit reduziert. Damit werden die Möglichkeiten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern eingeschränkt, auf spezifische Entwicklungen in den einzelnen Wirtschaftssektoren, Regionen, Altersgruppen und Qualifikationsniveaus dezentral zu reagieren. Langfristig werden dadurch die strukturelle Arbeitslosenquote weiter steigen und die Wachstumsmöglichkeiten der deutschen Wirtschaft geschmälert“ (Seite 60 f.)

„Aufgrund der heute bereits absehbaren nachteiligen Folgen für einzelne Regionen und Sektoren dürfte sich die Wirtschaftspolitik in nicht allzu ferner Zukunft zu weiteren Eingriffen in die marktwirtschaftliche Ordnung veranlasst sehen. Insbesondere kann vermutet werden, dass staatliche Lohnsubventionen und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf regionaler und sektoraler Ebene eingeführt werden. Dies dürfte zum einen zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen und zum anderen dazu, dass die zu erwartenden negativen Beschäftigungseffekte des Mindestlohns nicht in den Arbeitsmarktstatistiken zum Ausdruck kommen“ (Seite 62)

Diese Einschätzung wird aber nicht von allen Instituten geteilt, weshalb ein „Minderheitenvotum“ angehängt ist, in dem es heißt:

„Das Konsortium von DIW Berlin und und WIFO schließt sich der kritischen Bewertung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland nicht uneingeschränkt an. […] Das Konsortium von DIW Berlin schätzt die Bedeutung dieser Unsicherheit [bei der Abschätzung der Folgen] höher ein, als die Mehrheit der Institute. Es ist keineswegs zwangsläufig, dass von der Einführung des Mindestlohns negative langfristige Auswirkungen aus die Gesamtwirtschaft ausgehen.“ (Seite 66 f.)

Komplexe Probleme erfordern differenziertes denken und kein „holzschnittartiges“. Und Dogmatik hilft überhaupt nicht weiter. Leider ziehen sich nicht wenige politischen Akteure bei diesem Thema auf plumpe schwarz-weiß-Argumentation zurück – ob der Grund hierfür nicht-können oder nicht-wollen ist, macht da keinen Unterschied.

(Wir danken natürlich – wie auch bei diesem, diesem und bei diesem Blogeintrag – wieder Leon für seine großartige Unterstützung)