Im Moment wird in der insolvenzrechtlichen „Szene“ ziemlich ausführlich über ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 19. Dezember 2017 berichtet (II ZR 88/16), in dem es um die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit einer GmbH geht.

Ich verstehe diese Aufregung nicht ganz, denn eigentlich ist das doch – Entschuldigung! – kalter Kaffee.

Hintergrund war ein klassischer Fall der Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG. In diesem heißt es

Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind.

Der Insolvenzverwalter verlangte Ersatz für Zahlungen, die im letzten Jahr vor dem Insolvenzantrag veranlasst worden waren und begründete dies damit, die Gesellschaft sei schon ein Jahr vor der Antragstellung zahlungsunfähig gewesen.

Der Knackpunkt war also, ob die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zum Zeitpunkt als die Zahlungen vorgenommen wurden bereits eingetreten war. Die Zahlungsunfähigkeit ist in § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO wie folgt definiert:

Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen.

Die Zahlungsunfähgkeit („nichts geht mehr“) wird von der Zahlungsstockung („es ist vorübergehend etwas knapp“) abgegrenzt. Nur eine Zahlungsstockung und noch keine Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die vorhandenen flüssigen Mittel ausreichen, um wenigstens 90% der fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen und die Deckungslücke in den kommenden drei Wochen geschlossen werden kann.

Bislang hatte noch keiner der für zivilrechtliche Fragen zuständigen Senate des BGH entschieden, ob nur die innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel auf der Aktivseite zu berücksichtigen sind, oder auch die innerhalb von drei Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (Passiva II) auf der Passivseite.

Keine Panik - wir kümmern uns.Ein Beispiel:

Der aktuelle Liquiditätsbestand beträgt 1.000 T€, dem stehen fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 1.050 T€ gegenüber. Wenn innerhalb von 21 Tagen weitere liquide Mittel (Aktiva II) realisiert werden können von 300 T€ ergibt der Vergleich zwischen geplanter Liquidität in drei Wochen und aktuell fälligen Verbindlich keine Deckungslücke mehr – die Liquidität übersteigt die Verbindlichkeiten.
Aber was bringt diese Betrachtung, wenn im gleichen Zeitraum weitere Verbindlichkeiten von 400 T€ fällig werden (Passiva II)? Richtig gar nichts, denn dann ist nichts gewonnen und die Deckungslücke hat sich sogar noch erhöht.

Das hat auch der BGH so gesehen und geurteilt:

Bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO anhand einer Liquiditätsbilanz sind auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (sog. Passiva II) einzubeziehen.

Es ist also nicht ausreichend, dass die am Stichtag bestehende Lücke durch die in den kommenden drei Wochen flüssig zu machenden Mittel geschlossen werden kann. Die Vorschau muss vielmehr zeigen, dass im drei-Wochen-Zeitraum die Lücke auch unter Berücksichtigung der neu fällig werdenden Verbindlichkeiten vollständig geschlossen werden kann.

Weil das bislang nicht entschieden worden war, gab es über diesen Punkt einen Streit in der juristischen Fachliteratur – obwohl der für Strafsenat zuständige Teil des Bundesgerichtshofs diese Frage in einem Urteil vom 21.8.2013, 1 StR 665/12, schon genau so beantwortet hatte wie die Kollegen von der Zivilrechtsabteilung jetzt. Und da sage noch mal einer, „zwei Juristen, drei Meinungen“.

Auch wenn der BGH diese Frage noch nicht ausdrücklich entschieden hat, sagt doch der gesunde Menschenverstand, dass es gar nicht anders sein kann. Auch die Beratungspraxis (jedenfalls meine) hat das in den vergangenen Jahren schon so gehandhabt – allein schon, um auf der sichern Seite zu sein, schließlich geht es für den Geschäftsführer um Strafbarkeit und seine wirtschaftliche Existenz.

Apropos: Kennen Sie unsere Infografik zur Prüfung der Insolvenzantragspflicht?

Infografik: Prüfungsschema Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähgkeit