Ich habe mich durch den Koalitionsvertrag gekämpft. Ein mutiger Entwurf ist es – gelinde gesagt – nicht gerade geworden; eher haben die Koalitionäre sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt und es steht zu befürchten, dass in den nächsten Jahren nur verwaltet wird, statt zu gestalten – wenn die SPD-Basis nicht noch dazwischen grätscht.

Ich vermute, den Titel „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ hat irgendein Satiriker in letzter Minute beigesteuert.

Der für mich schönste Satz aus dem Koalitionsvertrag lautet:

Wir brauchen ehrbare Kaufleute als Vorbilder unternehmerischen Handelns. Eigentum und Haftung gehören dabei zusammen. (S. 55)

Auf Wikipedia gibt es eine hübsche Grafik zur Definition des ehrbaren Kaufmanns. Gemeint ist jemand, der am Wirtschaftsleben teilnimmt und sich auf der Basis von humanistischer Grundbildung, wirtschaftlichem Fachwissen und gefestigtem Charakter mit Wirtschaftstugenden seiner Verantwortung gegenüber den Stakeholdern des Unternehmens und der Gesellschaft bewusst ist.

Nach Lektüre des Koalitionsvertrages scheint es mir, als sei der durchschnittliche Politiker am anderen Ende der Skala.

Sei es drum: was will die neue Regierung tun:

Die Gründung von Unternehmen soll einfacher werden

Die Bürokratiebelastung soll auf ein Mindestmaß reduziert werden (S. 62) – allerdings nur in der „Start- und Übergangsphase“, danach schlägt das Grauen wieder unvermindert zu.

Damit mehr gegründet wird, sollen bestehende Instrumente zur Finanzierung von Gründungen und Wachstum junger Unternehmen fortgeführt (ach?) und weiterentwickelt werden und „wo passend auch für Nicht-Akademiker [geöffnet werden]“. Diese Selbstverständlichkeit steht wirklich auf S. 42 des Koalitionsvertrages.

Natürlich sollen die Bedingungen für Wagniskapital weiter verbessert werden. Damit private Investoren ihr Geld locker machen, soll es steuerliche Anreize geben S. 62 f.) – stand übrigens ganz ähnlich auf Seite 22 des Koalitionsvertrags vom Dezember 2013. Außerdem soll es einen Tech Growth Fund geben um die staatlichen Finanzierungsinstrumente in der Wachstumsphase ergänzen. (S. 42).

Lustig ist in diesem Zusammenhang das Arbeitsbeschaffungsprogramm für Insolvenzverwalter auf S. 62:

In den ersten beiden Jahren nach Gründung werden wir die Unternehmen von der monatlichen Voranmeldung der Umsatzsteuer befreien.

Prima: wenn dann die Gründer vergessen, die von Ihnen kassierte Mehrwertsteuer zu sparen, kann das Finanzamt direkt einen Insolvenzantrag stellen.

Auch im Gesellschaftsrecht tut sich was

Die Regelungen vor allem im Bereich des Unternehmens- und Konkursrechts und die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer sollen zwischen Deutschland und Frankreich vereinheitlicht werden (S. 55). Das kann heiter werden.

Das Recht der Personengesellschaften soll reformiert werden (na ja, das stimmt nicht ganz, erst mal soll eine Expertenkommission eingesetzt werden) und im Aktienrecht soll sich bei Anfechtungsklagen und etwas ändern.

Und weil vom numerus clausus im Gesellschaftsrecht ohnehin nicht so viel übrig ist, soll geprüft werden, ob zur Erleichterung von Forschungskooperationen eine neue Rechtsform für diese Art der Zusammenarbeit eingeführt werden sollte (S. 132) – mal sehen ob die GbRmbH kommt.

Justizsystem

Vor allem aber will die große Koalition das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken. Jawoll!

Und wie macht sie das? Zum stellt sie neue Richter ein und zum anderen beschneidet sie die Rechte der Beschuldigten und der Nebenkläger im Strafverfahren (S. 124). Nerven ja auch diese langen Verfahren.

Wirtschaftsstrafrecht und Compliance

Wirtschaftskriminalität soll wirksam verfolgt und angemessen geahndet werden. Deshalb soll das Sanktionsrecht für Unternehmen neu geregelt werden. Das Unternehmensstrafrecht kommt also durch die Hintertür, indem sichergestellt werden soll, dass

bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden (S. 127).

Dass die Verhandler vielleicht etwas wenig geschlafen oder es mit dem Weichspülen übertrieben haben, zeigt sich auch auf Seite 127:

Die geltende Bußgeldobergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch …

Wie kann eine Obergrenze zu hoch sein? Tatsächlich geht es natürlich darum, dass die bisherige Grenze zu niedrig war: bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen €  Umsatz soll die Höchstgrenze nämlich bei zehn Prozent des Umsatzes liegen – also über 10 Mio. €

Schön – zumindest für mich – ist aber, dass es gesetzliche Vorgaben und Anreize für die Aufklärungshilfe durch „Internal Investigations“ geben soll. Wenn das Unternehmen der Staatsanwaltschaft schon mal dadurch Arbeit abnimmt, dass es alles selber ermittelt – und alles offenlegt. Public Private Partnership also.

Und das waren nur die eher langweiligen Teile zu Recht und Wirtschaft. Zu den Themen wie Arbeitsrecht, soziale Sicherung, Digitalisierung, Außenpolitik und Ökologie sage ich besser gar nichts.